Gesundheitskrise & Cybersicherheit
Cyber-Autopsie: Hacker blockieren Buchungssystem des italienischen Covid-19-Impfportals
Nach Angaben des italienischen Verbandes für Cybersicherheit gab es im Jahr 2020 rund 1.900 schwere Cyberangriffe auf den öffentlichen Sektor in Italien, von denen 10 Prozent mit COVID-19 in Verbindung standen
Von Anthony Etien, GlobalSign
Nach dem Oktober, dem Nationalen Monat der Cybersicherheit, widmen wir uns im Rahmen unserer Serie zur "Cyber-Autopsie" einigen besonders schwerwiegenden Angriffen und Datenschutzverletzungen – und dem, wie man sie vielleicht hätte verhindern können.
Das Cyber-Opfer: Das italienische Registrierungsportal für COVID-19-Impfungen. Gehostet wurde das Portal auf der Website der Region Rom, und es gilt als eines der größten Online-Buchungssysteme, genutzt von Tausenden von Italienern, um sich impfen zu lassen. Der Angriff erinnert an ähnliche Vorkommnisse in Zusammenhang mit dem COVID-19-Impfstoff oder dem Europäischen Gesundheitspass.
Einzelheiten zum Fall:
Dieser Angriff auf die Regierung und im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise gilt als einer der schwerwiegendsten Cyberangriffe auf Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung in Italien. Den Hackern war es gelungen, sich Zugriff auf die Plattform zu verschaffen, deren Dienste zu blockieren und mittels Ransomware die Herausgabe von Daten zu erpressen. Alessio d'Amato, Gesundheitsdirektor der Region Lazio, nahm persönlich Stellung und betonte ausdrücklich die Schwere des Vorfalls. So war es den Hackern gelungen, auf persönliche Daten italienischer Bürgerinnen und Bürger zuzugreifen, die auf ihre Impftermine warteten. Nach Angaben der Behörden wurden aber keine Daten gestohlen.
Die Cyber-Historie:
Nach Angaben des italienischen Verbandes für Cybersicherheit gab es im Jahr 2020 rund 1.900 schwere Cyberangriffe auf den öffentlichen Sektor in Italien, von denen 10 Prozent mit COVID-19 in Verbindung standen. Weltweit wurde im Jahr 2021 eine geradezu explosionsartige Zunahme bei dieser Art von Angriffen verzeichnet. Im Zentrum des Interesses: Daten und Plattformen im Zusammenhang mit Impfungen oder Gesundheitspässen. Ein Beispiel ist Walgreen's, eine amerikanische Apothekengruppe, deren Datenbank mit Listen von bereits geimpften Personen gehackt wurde. Ein anderes: In Folge des EU-Hacks auf die EMA (European Medicines Agency) wurden beispielsweise Daten aus Gesundheitspässen in Europa geleaked.
Beschreibung der Ereignisse:
Das Impfportal wurde in der Nacht des 31. Juli 2021 angegriffen. Wer sich nach Mitternacht auf der Website von Salute Lazio einloggen wollte, erhielt die Meldung "Bad Gateway". Computerexperten erkannten sofort, dass es sich um eine Ransomware handelte, die in der Regel darauf abzielt, vom infizierten Opfer Lösegeld zu erpressen. Zu allem Überfluss gab es Hinweise darauf, dass die Malware zur gefürchteten "Cryptolocker"-Familie gehörte. Infolgedessen konnten die Hacker Dateien verschlüsseln und sämtliche Systemaktivitäten blockieren, einschließlich des Buchungszentrums für die COVID-19-Impfungen. Die infizierte Website wurde sofort isoliert.
Die betroffenen Systeme und Parteien:
Der durch den Angriff verursachte Schaden machte sich unmittelbar bemerkbar. Über mehrere Tage hinweg konnten in der Region keine Impftermine vergeben werden. Besonders bitter, weil die römische Regierung gehofft hatte, 80 Prozent der 12- bis 18-Jährigen noch vor Beginn des Schuljahres impfen zu können.
Betroffen waren insgesamt 80 Zentren, und viele derer, die sich wenige Tage vor dem Angriff hatten impfen lassen, mussten vorerst auf den berühmten Gesundheitspass verzichten – das Dokument, das beispielsweise nötig ist, um reisen zu können. Der Schaden geht jedoch weit darüber hinaus. Denn die Website hielt private Daten und medizinische Unterlagen von 5,8 Millionen Italienern vor. Nach Angaben der Behörden wurden allerdings keine Daten gestohlen.
Die Vorgehensweise:
Nach Angaben des Magazins BleepingComputer plante eine unter dem Namen "RansomeXX" bekannte Gruppierung den Angriff. Berichten zufolge stellte der Angreifer in seinem Erpresserbrief Lazio einen Link zu einer Seite im Dark Web zur Verfügung, um mit den Cyberkriminellen Kontakt aufzunehmen. Der Hacker verwendete den Zugangscode eines der Systemadministratoren, um sich Zugriff auf die Plattform und so gut wie alle Daten zu verschaffen. Weil sie befürchteten, dass der "Sperrcode" auch die verbleibenden Backups angreifen würde, entschieden sich die Beamten, die Systeme komplett abzuschalten.
Bei RansomeXX handelt es sich um sogenannte Ransomware-as-a-Service (RaaS), früher bekannt unter dem Namen Defray777 und seit 2018 aktiv. Richtig bekannt wurde die Gruppierung aber 2020 mit erfolgreichen Angriffen auch auf große Organisationen, darunter das Texas Department of Transportation. RansomeXX trat zunächst unter Windows auf, seit Januar 2021 kursiert aber auch eine Linux-Variante. Die Ransomware wird in der Regel als sekundäre Payload im Speicher ausgeliefert, ohne jemals auf die Festplatte zu gelangen. Nach Angaben eines weiteren Opfers, einer französischen Krankenkasse, wurde der laufende Betrieb durch den Angriff immens beeinträchtigt.
Das besorgniserregende an diesem Angriff ist, dass er kein Einzelfall zu sein scheint. Laut Chuck Everette, Direktor für Cybersicherheitsabwehr bei Deep Instinct Ltd, "scheint der Angriff auf das Impfportal von Lazio Teil eines Angriffs auf die gesamte Lieferkette zu sein – also kein isolierter Vorfall. Vielmehr gehört er zu einer umfassenderen Kampagne, und wird sehr wahrscheinlich weitere Regierungsbehörden und Gesundheitsorganisationen weltweit betreffen."
Die abschließende Diagnose:
Also, Ransomware? Politischer Terrorismus? Das fragten sich die Behörden. Cyberkriminalität ist weiter auf dem Vormarsch. Nach Angaben der europäischen Cybersicherheitsbehörde wurden 2019 weltweit 10 Milliarden Euro Lösegeld bezahlt. Dutzende von Krankenhäusern auf der ganzen Welt, in Australien, Frankreich, Irland und den Vereinigten Staaten, wurden erpresst. Die wichtigsten kriminellen Netzwerke dahinter aus der Ukraine, Russland, Taiwan oder Vietnam sind bekannt. Der Fall Lazio ist jedoch besonders interessant. Durch den Angriff auf das Gesundheitssystem mitten in der COVID-Pandemie haben sich die Hacker selbst ins Rampenlicht gerückt. Üblicherweise erfordern die Lösegeldverhandlungen eher Diskretion. Kaum jemand will den Eindruck erwecken, sich den Tätern zu ergeben. Zudem fand der Angriff nur fünf Tage vor dem Inkrafttreten des obligatorischen "grünen Passes" für geschlossene öffentliche Räume und Reisen statt. Der politische Kampf um den Pass ist in vollem Gange: Anhänger der Bewegungen "no vax" und "no green pass" demonstrieren täglich. Der Angriff auf die Plattform Salute Lazio könnte folglich als Akt des politischen Terrorismus zu werten sein - in Zusammenarbeit mit cyberkriminellen Söldnern, rekrutiert im Dark Web.
Auch wenn wir vermutlich nie die ganze Geschichte kennen werden, die Warnzeichen für öffentliche Gesundheitseinrichtungen sind jedenfalls ziemlich eindeutig. (GlobalSign: ra)
eingetragen: 14.12.21
Newsletterlauf: 14.02.22
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